Die besondere Buchempfehlung:
Das Alte Testament
und der Vordere Orient
Zur historischen Zuverlässigkeit biblischer Geschichte
von Prof. Dr. Kenneth A. Kitchen
752 Seiten, Paperback
ISBN: 978-3-7655-925-46
Brunnenverlag Gießen
50,00 Euro
Bestellnummer: 229254 Brunnenverlag Gießen
Erscheinungsdatum: 01.03.2023
3. Auflage mit aktulisiertem Literaturverzeichnis und neuen Grafiken
Worum geht es bei dem Klassiker?
Die historische Glaubwürdigkeit der alttestamentlichen Texte ist seit langem einer sehr starken Kritik gerade auch von Seiten der Theologen ausgesetzt. Auf der anderen Seite haben 150 Jahre intensiver archäologischer Forschung im Alten Vorderen Orient dem Erdboden unzählig viele Zeugnisse aus jener Zeit entrissen: Texte, Gebrauchsgegenstände und andere Spuren des menschlichen Lebens.
Mit diesem Buch liefert der renommierte Ägyptologe Prof. Dr. Kenneth A. Kitchen (Universität Liverpool) nicht nur viele Argumente zu Gunsten einer vertrauenswürdigen Haltung zur historischen Zuverlässigkeit des AT. Es ist vor allem auch eine Fundgrube für denjenigen, der sich für die Personen und Ereignisse interessiert, die uns aus dem Alten Testament bekannt sind. Ein unentbehrliches Nachschlagewerk.
Rezension vom Dozenten Manfred Dreytza, Krelingen
Den elf Übersetzern ist dafür zu danken, dass sie sich die Mühe gemacht haben, ein solches magnum opus ins Deutsche zu übertragen. Denn um ein solches handelt es sich allein schon vom Umfang her. Damit die gut 650 zu lesenden Textseiten niemand abschrecken, sei gleich zu Anfang gesagt, dass man das Buch auch hervorragend als Kompendium bzw. Lexikon benutzen kann. Bereits die Lektüre der 150 Seiten von Kapitel 6 ("Exodus und Bundesschluss") und Kapitel 8 ("Propheten und Prophetie") würde eine Anschaffung völlig rechtfertigen.
Wenn im Vorwort zur deutschen Ausgabe von einem "großen Wurf" gesprochen wird, der dem Verfasser mit diesem Werk gelungen sei, ist dem voll und ganz zuzustimmen. Kenneth A. Kitchen, ein ausgewiesener Ägyptologe, bewegt sich mit diesem Alterswerk auf der Ebene eines Konvenienzbeweises. Wenn Analogien und Vergleiche aus der Umwelt gezogen werden, dann nicht, um eine Entstehungsgeschichte zu beweisen - an keiner Stelle überzieht Kitchen sein Konto -, sondern um es für denkmöglich, ja für wahrscheinlich zu halten. Die Zuverlässigkeit der altt estamentlichen Schrift en prüft Kitchen in Hinblick auf Geschichte, Literatur und Kultur, nicht in Hinblick auf Theologie und Glaube (3). Gott es Handeln in der Geschichte Israels könne kein Spaten ans Tageslicht holen; die Zeugnisse müssten vielmehr mit Glauben und Vorschussvertrauen gelesen werden. Aber umgekehrt sei es unzulässig, diesen Schrift en die historische Glaubwürdigkeit abzusprechen, weil sie Geschichte theologisch deuten.
Das Buch besteht aus zehn Kapiteln, wobei Kitchen eine rückwärts gewandte Arbeitsweise wählt und sich wie ein Archäologe zunächst durch jüngere Schichten bis zu den ältesten Erzählinhalten gräbt.
Das kurze Einführungskapitel ("Was steht zur Diskussion?") nennt als Leitfrage die in jüngerer Zeit oft geäußerte These, dass die altt estamentlichen Bücher erst in der späten Perserzeit (nach 400 v. Chr.) geschrieben seien. Kitchen will die altt estamentlichen Bücher mit Hilfe der Altorientalistik auf dem Hintergrund der zahlreichen Daten aus der Umwelt vergleichen. Dabei werden direkte und viel häufiger indirekte Belege ausgewertet.
In Kapitel 2 (7-85) stellt der Autor zunächst das Zeitalter der Könige Israels dar, das geschichtlich am besten belegt ist. Ein Vergleich der in 1. Kön, 2. Kön und 2. Chr erwähnten ausländischen und hebräischen Könige mit den Quellen der Umwelt bringt erstaunliche Ergebnisse: Die Ordnung der zwanzig in den biblischen Texten bezeugten ausländischen Herrscher entspreche bis auf drei den außerbiblischen Quellen. Umgekehrt würden neun von 14 israelitischen Königen in außerbiblischen Quellen genannt, in Judäa sind es acht von 15 Königen.
Darauf folgen ein kurzer Abschnitt zur Periode des Exils und zur Rückkehr (Kapitel 3) und ein langes viertes Kapitel zum Reich Sauls, Davids und Salomos (108-213). Die oft erwähnte Tatsache, dass es so gut wie keine außerbiblische Erwähnung dieser drei Könige gebe, lasse sich dahingehend erklären, dass bis Mitte des neunten Jahrhunderts v. Chr. kein assyrischer Herrscher direkten Kontakt mit einem König Israels hatt e. Zudem fehlten auch in Tyrus, Sidon oder Damaskus Zeugnisse für israelitische Könige, und in Jerusalem könne der größte Teil des alten Bergrückens der Stadt Davids und des heutigen Tempelbergs nicht ausgegraben werden. schließlich sei durch die zahlreichen Zerstörungen und den Wiederaufbau in der Geschichte die Schicht der Königszeit weitgehend nicht mehr vorhanden. Aus der Nichterwähnung dürfe noch keine Nichtexistenz geschlossen werden.
Ebenso umfangreich ist Kapitel 5 zu Landnahme und Richterzeit (214-315), in dem Kitchen häufige Missverständnisse klären will. Eine Zerstörung werde unter den zahlreichen Städten Kanaans im Buch Josua nur von Jericho und Hazor erwähnt. Die anderen Städte würden zwar erobert, jedoch nicht zerstört, und die Gebiete könnten zum Teil nicht gehalten werden. Josua verteile Land, das noch nicht eingenommen gewesen sei.
Ausführlich fällt auch das sechste Kapitel zu Exodus und Bundesschluss aus (316-402). Dass ägyptische Texte einen Exodus und den Verlust eines beträchtlichen Truppenteils erwähnen sollten, dürfe man nicht erwarten, da der Pharao in der ägyptischen Eigendarstellung grundsätzlich gesiegt habe. Andererseits habe es im zweiten Jahrtausend v. Chr. wiederholt Exodus-ereignisse ausländischer Arbeiter und Siedler in ägypten gegeben. Zudem spiegelten die Erzählungen des Exodus genügend Realia (Wasser führende Felsen, Wachtelzüge, Salzwasser und Schilf) wider. Der Verzicht auf die Nordroute nach Kanaan, entlang des Mittelmeeres, werde ferner verständlich, wenn man die ca. zehn ägyptischen Festungen bedenke, die diese Route bis zum heutigen Gaza sicherten. Der Bau eines Zeltheiligtums entspreche schließlich alter semitischer Tradition und ägyptischer Technologie, wie entsprechende Funde aus ägypten belegten. Damit sind Exodus und Gottesoffenbarung am Sinai nicht "bewiesen", wohl aber, dass die Erzählungen in jenes Umfeld passen, jedoch nicht in das eines babylonischen Exils 600 Jahre später.
Es folgen Kapitel 7 zur Patriarchenzeit (403-482) und Kapitel 8 zu Propheten und Prophetie (483-551). In letzterem zeigt Kitchen die Plausibilität einer raschen Verschriftlichung der Prophetenaussagen an Hand von Beispielen aus der Umwelt auf. Die beliebten Thesen einer Jahrhunderte langen Fortschreibung und Erweiterung von wenigen ursprünglichen Prophetenworten durch viele Schüler und Gruppen ließen sich nicht verifizieren.
Nach dem knappen neunten Kapitel ("Bis Metuschelach - und weiter zurück in die Vergangenheit"; 552-587) setzt sich Kitchen im Schlusskapitel (588-649) mit der Position des Minimalismus auseinander (Thomas L. Thompson, Niels P. Lemche, John van Seters u.a.). Dabei fordert er einen Paradigmenwechsel in der Erforschung der Welt des Alten Orients. In ein auf Fakten gegründetes Profil des Vorderen Orients sollte auch die biblische UÅNberlieferung eingezeichnet werden.
Im Rückblick hält Kitchen fest, dass die Schriften und Inhalte des Alten Testaments weder ausschließlich in der späten Perserzeit entstanden seien noch von Fiktionen handelten. Im Gegenteil: Die biblischen Texte seien in hohem Maße historisch zuverlässig. Kitchen versucht jedoch nicht zu "beweisen, dass die Bibel recht habe" wie seinerzeit Werner Keller. Er stellt nicht nur Behauptungen in den Raum, sondern argumentiert aus einer umfassenden Kenntnis der Primärquellen. Kitchen wendet sich im Grunde gegen das negative Glaubens-Vorurteil, aus dem so viel Sachkritik entstanden ist, nämlich dass da, wo theologisch-deutende Geschichtsschreibung auftritt , diese von vornherein unglaubwürdig sein müsse. Die Geschichte werde durch die Schreiber interpretiert, so Kitchen, aber nicht erfunden.
Kitchens Werk ist eine Fundgrube. Auch dort, wo es den Leser nicht überzeugt - die Zweigliederung des Jesajabuches z.B. darf man gerne in Frage stellen, und ob nicht doch noch eine Lanze für die Frühdatierung des Exodus gebrochen werden kann, sei immerhin gefragt -, sind seine Thesen zum Nachdenken anregend. Sie führen immer wieder zum Alten Testament in der uns vorliegenden Gestalt und ermuntern, dieses auch historisch als glaubwürdig zu erachten.
Wie das englische Original (On the Reliability of the Old Testament), so ist auch die vorliegende Ausgabe flüssig geschrieben und gut übersetzt. Dass in der Übersetzung der Überschriften einiges von Kitchens Humor nicht transportiert werden konnte, liegt an seinen originellen Formulierungen, wie z.B. in Kapitel 4 "The Empire Strikes Back - Saul, David and Solomon" oder Kapitel 6 "Lotus Eating and Moving On - Exodus and Covenant".
Manfred Dreytza
ichthys 25 (2009), 2009|1, 100-102
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