Kopfbild

Mönche sind auch nur Menschen ...

Diese Schreibersprüche lassen tief blicken!

Bild Schreiber Public domain

Handschrift St. Gallen, StiftsbibliothekCod. Sang. 243, Seite 254

 

 

Die Sache mit den drei Fingern ...

 

Roter Kasten:

"Ego eadbert hunc librum deveteris & novi instrum(en)ti tes-
timoniis coaptatum & desc(cript)orum exemplis patrum collectu(m)
multisq(ue) scripturaru(m) floribus ornatum non sine corporis la-
bore depingens , optulante d(omin)o , adfine(m) usque perduxi.

Qui ne scit scribere non putat esse laborem. Tres eni(m) digiti
scribunt totum corpus laborat. Obsecro quicumque haec
legens recitaveris ut propitium mihi fieri d(ominu)m rogare digneris."

 

auf Deutsch:

"Ich, Eadbert, habe dieses Buch des Alten und Neuen Testaments genau zusammengefügt und mit aus den Schriften der Väter gesammelten Beispielen und mit vielen Blüten der/(ihrer?) Schriften geschmückt, nicht ohne körperliche Mühe/Arbeit beim Abschreiben, und [es], durch die Gnade des Herrn, bis zum Ende gebracht.

Wer nicht weiß zu schreiben, glaubt nicht, daß dies Arbeit ist. Drei Finger nämlich schreiben, (während) der ganze Körper sich müht.

Ich bitte dich inständig, wer auch immer dies laut vorliest [wörtlich: lesend rezitierst], daß du dich entschließt Gott zu bitten, daß es mir zum Nutzen werde." *

 

 

Diese Klage wird noch verständlicher, wenn man sich Darstellungen von schreibenden Mönchen anschaut. Die Mönche / Schreiber hielten die Feder mit drei Fingern in der Hand. Sie durften aber die Hand nicht auf das Pergament legen, bzw. sich dabei abstützen. Beim Schreiben hielt man die Feder "frei schwebend" in der Luft. Das machte das Schreiben noch anstrengender, als wenn man heute eine Bibel abschreiben würde.

 

In einer anderen Handschrift steht:

"Mühsam habe ich fertig geschrieben,

noch viel mühsamer habe ich das Ende erwartet."

 

Die Temperaturen in der Schreibstube des Klosters waren im Winter eisig, die Finger klamm, das Pergament war manchmal zu rauh und daher ungeeignet. Es konnte passieren, dass der Tintenfluss unregelmäßig und zu stockend war. Die Tinte konnte zu dünn oder zu dick sein. Und dann waren da hunderte von Seiten, die noch zu kopieren waren und nicht enden wollten.

 

Ein anderer Mönch klagt:

"Neues Pergament, schlechte Tinte, ich sage nichts mehr"

"Ich habe Schmerzen in der Hand"

 

"O scriptor, cessa,

manus est tibi fessa"

"O Schreiber, setzt ein Ende,

erschlafft sind die die Hände."


Verständlich, dass die Freude groß war, wenn die Bibel endlich fertig war:

 

"Libro completo saltat scriptor pedo leto"

"Ist das Buch zu End' gebracht, der Schreiber einen Luftsprung macht"

(Codex Sangallensis 1019, Seite 77)

 

"Christus, Lob sei Dir, weil das Buch endet hier."

 

 

Die Schreibkunst - Webseite des Klosters Wiblingen

 

* Ein herzliches Dankeschön an Frau Sonja Stocksmeier für die Entzifferung und Übersetzung dieser Schreibernotiz!