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FAKTENCHECK ZU ZDF-TERRA-X "Qumran - die geheimnisvollen Schriftrollen vom Toten Meer"

75 Jahre Entdeckung der Schriftrollen vom Toten Meer - Das ZDF brachte dazu eine Terra-X-Folge, doch wie ist diese zu bewerten? Ein kritische Stellungnahme von Alexander Schick

 

 

 

--> Link zum Originalbeitrag des ZDF

 

Faktencheck und Kritik an dieser Terra-X-Sendung über Qumran:

 

Es ist erfreulich, dass sich das ZDF erneut der Bedeutung der Handschriftenfunde vom Toten Meer annimmt.

 

Die Kommentare auf YouTube zu der Sendung, aber auch die Doku selber sind Anlass für diese kritische Stellungnahme.

 

 

In den Kommentaren wird immer wieder behauptet, die katholische Kirche hätte ihre Hände im Spiel. Dies verneint Terra-X zu Recht!

 

Hatte der Papst/Vatikan etwas mit der Herausgabe der Schriftrollen zu tun? NEIN!


Die meisten Texte sind in Jerusalem und werden von der Israelischen Antikenbehörde verwaltet. Einige wenige sind in Amman, einige Fragmente in Heidelberg, Paris und den USA. Im Vatikan liegen nur eine Handvoll Fragmente, da der Vatikan in den 50’er Jahren lediglich 3000 US-Dollar für den Ankauf der Fragmente an die Jordanische Antikenbehörde gegeben hatte. Die angekauften Texte sollten eigentlich nach Veröffentlichung den Geldgebern gegeben werden. Doch 1966 hat Jordanien die Texte „verstaatlicht“. 1967 sind diese „jordanischen“ Fragmente in den Besitz der Israelis gekommen durch die Eroberung von „Ost-Jerusalem“. Die Herausgabe der Texte ist also seitdem Sache der Israelischen Antikenverwaltung.

 

Die großen Schriftrollen aus Höhle 1 gehörten schon immer der Hebräischen Universität, die diese 1949 bzw. 1954 angekauft und auch gleich veröffentlicht hatten. Die Tempelrolle aus Höhle 11 wurde im Zuge des Sechs-Tage-Krieges bei dem arabischen Händler Kando beschlagnahmt, der später 105.000 $ als „Entschädigung“ bekam.

 

Alle Fragmente sind in der Reihe DJD = Discoveries in the Judean Desert veröffentlicht. Herausgeber ist die Oxford University Press. Diese Bände kann man in jeder guten Bibliothek einsehen.
Hier die Auflistung: http://orion.mscc.huji.ac.il/resources/djd.shtml

Seit über zwanzig Jahren ist also ALLES veröffentlicht. Sie können dazu jedes Fragment im Internet selber einsehen: https://www.deadseascrolls.org.il/
Die Seite gibt es auch auf Deutsch - https://www.deadseascrolls.org.il/?locale=de_DE

Eine „Verschlußsache Jesus“ hat es nie gegeben- siehe hier der Kommentar von Prof. Dr. Claus-Hunno Hunzinger, dem einzigen deutschen Mitglied aus dem Forscherteam:

https://www.bibelausstellung.de/home/vid1_1531_es-gibt-keine-verschlusssache-jesus

 

Die Qumranrollen erzählen auch nicht in verschlüsselter Form von Jesus, Paulus oder den Urchristen. Auch hier ist dem ZDF-Beitrag zuzustimmen!

 

„Die Bücher von Robert Eisenman und Barbara Thiering, die das behaupten, gehören trotz der Professorentitel ihrer Autoren zur Literaturgattung der Schundmärchen“, so der Neutestamentler und Qumranspezialist Prof. Rainer Riesner.

 

Das ZDF betont auch völlig zu Recht den Sachverhalt, dass die Qumrantexte aus der Zeit vor Christus stammen.

Fakt ist: Alle Versuche, in den Qumranschriften christliche Dokumente sehen zu wollen, scheitern schon an dem einfachen Sachverhalt, dass die allermeisten Schriften aus dem 3. - 1. Jahrhundert vor Christus stammen.

Dies wurde durch zwei unabhängige radioaktive Untersuchungen in Zürich 1990 und Tucson (Arizona/USA) 1994 eindeutig bestätigt. Schriften, die lange vor Jesu Lebzeiten aufgeschrieben wurden, können nun mal keine „Geheiminformationen“ über die Urchristenheit enthalten. Dennoch sind die Texte von größter Bedeutung für das Christentum, da wir zu Zeitgenossen der Evangelisten werden und so viel besser die Evangelien verstehen können.

 

Dazu als Buchempfehlung die beiden Bücher von Prof. Rainer Riesner:

„Messias Jesus: Seine Geschichte, seine Botschaft und ihre Überlieferung“ (erscheint 2023 in 2. Auflage) und „Verschwörung um Qumran?: Jesus, die Schriftrollen und der Vatikan“

 

Ausführlich sind all diese Thesen allgemeinverständlich erklärt in:

Alexander Schick „Faszination Qumran -Wissenschaftskrimi, Forscherstreit und wahre Bedeutung der Schriftrollen vom Toten“ (antiquarisch zu bekommen).

 

Das ZDF stellt sich auch der Frage nach der populären These, ob Jesus verheiratet war und Kinder hatte, wie dies Dan Brown in seinem Bestseller „Da Vinci Code – Das Sakrileg“ behauptet.

Fakt: Die These ist völlig falsch! Siehe dazu Alexander Schick „Das wahre Sakrileg: Die verborgenen Hintergründe des Da-Vinci-Codes“ (der deutsche – katholische! – Basteiverlag, der Dan Browns Buch rausbrachte, hatte gegen den Verlag Droemer wegen dieses Sachbuchs „Das wahre Sakrileg“ einen Prozess angestrengt und vor Gericht NICHT gewonnen! Streitwert 250.000 EURO).

 

Siehe dazu auch den ausführlichen Artikel „Jesus Christus, Leonardo da Vinci und der Heilige Gral“ (Downloadlink)

https://www.bibelausstellung.de/itm-1588360846-DOWN_1_3077_36836181_enc/SAKRILEG_FACTUM.pdf

 

und www.sakrileg-betrug.de

 

 

FEHLER IN DIESER TERRA-X-FOLGE:

 

Prof. Vieweger ist zwar Archäologe aber selber kein Qumranologe und wenn er behauptet, dass der Ausgräber Prof. de Vaux Qumran als ein Kloster bezeichnet habe, dann stimmt das nicht. In keiner einzigen Veröffentlichung hat de Vaux von einem „Kloster“ gesprochen. Leider tut das aber Prof. Vieweger, wenn er bei Minute 7:24 behauptet, einige Juden hätten einen „Orden“ gegründet, und wenn er kurz später auch noch von einem „Noviziat“ spricht. Prof. de Vaux eine Voreingenommenheit zu unterstellen (der aber nie vom Kloster in Bezug auf Qumran sprach), aber selber dann hier mit monastischen Ausdrücken die Zeit zu schildern, wirft nur Fragezeichen auf! Da erwarte ich wesentlich mehr Differenzierung von einem Wissenschaftler, wenn er das den Laien erklären soll. „Religiöser Kibbuz“ und "mehrjährige Ausbildungszeit" wäre noch denkbar, aber „Kloster“ und „Noviziat“ bei Juden? Da hat der Terra-X-Redakteur leider nicht aufmerksam zugehört. Da hätte er zurückfragen müssen!

 

In Qumran sind zudem KEINE Ehescheidungsurkunden gefunden worden! Das sind die Funde aus der Bar-Kochba-Zeit aus den Höhlen weiter südlich von Qumran. Diese haben aber nichts mit Qumran zu tun! Das sollte man nicht vermischen. Diese Bar-Kochba-Funde stammen aus dem 2. Jh. n.Chr. und gelten auch als Schriftrollen vom Toten Meer, aber eben nicht aus den Qumranhöhlen!

 

Der beschreibende Text dieses Beitrages ist auch nicht immer korrekt. Leider hat der ZDF-Redakteur dieses Beitrages anscheinend nur eine sehr oberflächliche Kenntnis von den Funden am Toten Meer und ihrer Herausgabe. So wird ab Minute 6:42 behauptet: „Ab 1955 beginnt der Bibelwissenschaftler Emanuel Tov damit, die ihm zugänglichen Texte zu veröffentlichen.“

 

FAKT: Das wäre eine beachtliche Leistung, denn 1955 war Emanuel Tov 14 Jahre alt! (https://de.wikipedia.org/wiki/Emanuel_Tov) und zu der Zeit waren die Fragmente in der Hand der Jordanier, die Qumran – das Westjordanland – 1948 erobert und besetzt hatten, inkl. dem östlichen Teil der Altstadt von Jerusalem. Prof. Tov wurde 1990 Chef des internationalen Schriftrollenteams und hat dann bis 2003 alle Texte veröffentlichen lassen. Eine herausragende Leistung!

 

Nächster Fehler: „Von 1992 bis 2001 schafft er es endlich, alle Fragmente abzufotografieren.“ Völliger Blödsinn! Die Abbildungen in der offiziellen Publikationsreihe „Discoveries in the Judean Desert“ sind überwiegend die Fotos aus der Zeit, als die Jordanier das Schriftrollenteam unter sich hatten. (Von 1948-1967 war Ost-Jerusalem von dem Jordaniern okkupiert und das Palestine Archaeological Museum - heute: Rockefeller-Museum – liegt in Ost-Jerusalem nur wenige Schritte vom Damaskus-Tor in der Altstadtmauer entfernt.) Der Fotograf des Palestine Archaeological Museums = PAM (daher auch das Kürzel bei den Fotos als PAM) war Najib Anton Albina (https://en.wikipedia.org/wiki/Najib_Albina).

 

Mit diesen Bildern haben die Wissenschaftler gearbeitet und tun es heute noch neben den neuen Digitalaufnahmen (www.deadseascrolls.org.il/?locale=de_DE).

Alle Negative dieser Fotos sind im Internet frei zugänglich unter: https://www.deadseascrolls.org.il/explore-the-archive

 

 

Wer lebte in Qumran?

 

Ab Minute 11:06 wird der Frage nachgegangen, wer hat die Texte (und hier sind jetzt im Kontext wieder nur die Funde von Qumran gemeint) geschrieben. Den Ausführungen von Prof. Vieweger ab Minute 11:41 ist nicht zuzustimmen und die Mehrheit der Qumranologen lehnt seine Interpretation auch ab, wenn er behauptet, „in Qumran hätten keine Essener gelebt“.

Die Theorie einer Handelsstation scheitert zudem an den vielen - und zum Teil sehr großen - kultischen Ritualbädern (Mikvaot), die jedem Touristen als erstes bei einem Besuch auffallen.

 

Auch die Anzahl der gefundenen Tintenfässer stimmt nicht. Prof. Vieweger spricht von 1 1/2 Tintenfässern. In den Grabungsbänden sind es aber drei und ein weiteres aus einer späteren jordanischen Grabung (heute Hecht-Museum Haifa) und eins, das sich heute in einer Privatsammlung befindet (die Herkunft der letzten beiden aus Qumran ist nicht gesichert). ABER: In den Ausgrabungen von Jerusalem sind m.W. nur drei Tintenfässer bisher gefunden worden. Und das, wo einst der Tempel stand. Die Anzahl von mindestens drei Tintenfässern ist daher mehr als beachtlich!

 

Dieser ganze Abschnitt ist der schwächste des ganzen Films. Die Expertin für die Archäologie von Qumran ist Prof. Jodi Magness. In ihrem Buch „The Archaeology of Qumran and the Dead Sea Scrolls“ (2. Erweiterte Auflage 2021) zeigt sie in beeindruckender Weise, wie die Funde und die Schriften auf die Essener als die einstigen Besitzer hinweisen und sich nur so erklären lassen. Sie widerspricht mit ihren Forschungsergebnissen allem, was Vieweger ab Minute 11:00 behauptet und das ZDF ohne Gegenfrage so als „Fakt“ wiedergibt.

 

Der erste, der eine Beziehung zwischen den Essenern und den Schriftrollen erkannte, war übrigens der jüdische Wissenschaftler Prof. Eliazer Sukenik, der die ersten Rollen für die Hebräische Universität ankaufte (heute im Schrein des Buches).

 

Die These, dass Qumran eine Handelsstation war, vertreten nur sehr wenige Qumranologen. Dass die Qumransiedlung angeblich nichts mit den Höhlen in der nahen Umgebung zu tun habe, ist eine nicht haltbare These. Man kann die Höhlen 7-10 nur erreichen, wenn man durch die Qumransiedlung läuft! Das gesamte Areal ist auch noch von einer Mauer umgeben.

Die berühmten Höhlen 4a und 4b sowie Nr. 5 liegen direkt gegenüber der Siedlung.

Diese Höhlen sind künstlich angelegt worden. Man muss sich doch fragen: wie sollte eine andere Gruppe nur ein paar Meter entfernt von einer florierenden Siedlung auf dem Nachbarhügel dieses Verstecken hinbekommen haben, ohne dass diese Gruppe sonst irgendwelche Spuren ihrer Anwesenheit zu hinterlassen haben, Zudem enthalten die Höhöen viele typisch essenische Schriften. Nur eine Bibliothek der Qumran-Essener macht eigentlich Sinn.

 

Zudem: Die Tonkrüge aus den Höhlen entsprechen denen, die man in Qumran gefunden hat. Ausführlich belegt dies Prof. Jodi Magness in ihrer Studie „The Archaeology of Qumran and the Dead Sea Scrolls“.

 

Die jüdische Bibel ist hervorragend überliefert!

Aber egal, wer in Qumran lebte und die Texte abgeschrieben hat – Prof. Vieweger ist zustimmen, dass die Bibelschriftrollen zeigen, wie „exakt und genau die Schreiber gearbeitet haben“ – Die Bibeltexte von Qumran belegen nach 75 Jahren immer noch eindrücklich: Die Schriften der jüdischen Bibel sind ganz hervorragend überliefert wurden.

 

Und dem ZDF-Kommentar ist zuzustimmen, dass es keine „Verschlußsache Jesus“ gegeben hat. Ansonsten wäre aber etwas mehr Ausgewogenheit aus wissenschaftlicher Sicht wünschenswert.

 

--> Woher ich das alles weiß? Nun, ich arbeite über die Geschichte der Schriftrollen vom Toten Meer seit über 30 Jahren, kenne viele der Leute persönlich, die in dem Wissenschaftskrimi eine Rolle spielen und Prof. Hunzinger aus dem Schriftrollenteam war mein „Mentor“ (https://www.jpost.com/archaeology/last-member-of-original-dead-sea-scrolls-research-team-dies-from-covid-19-654922).