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Martin Luthers 95 Thesen

1517

95 Thesen Luthers gegen

den Ablasshandel

1521

 

Einer der wesentlichen Auslöser der Reformationsbewegung ab dem Ende des Jahres 1517 war die Verbreitung der 95 Thesen Martin Luthers, in denen er seine fundamentale Kritik zum Ablasshandel niedergeschrieben hatte. Seine Thesen über den Ablass sandte er am 31. Oktober 1517 dem Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg. Noch im selben Jahr 1517 wurden drei Ausgaben der in Latein abgefassten Thesen gedruckt: Zwei Plakatdrucke entstanden in Nürnberg und in Leipzig, eine kleinere Ausgabe auf vier Blättern in Basel. Luther selbst war über die rasche Verbreitung seiner Thesen nicht glücklich, denn er hatte diese zunächst in einem kleinen Kreis von Theologen diskutieren wollen, wozu es jedoch aufgrund der rasanten Entwicklung nie kam. Um dem Volk, für das er die Materie für zu schwierig hielt, seine Ansichten näher zu bringen, verfasste er 1518 „Ein Sermon von Ablass und Gnade“ – dieses Buch erfuhr innerhalb eines Jahres 18 Ausgaben.

 

Heute sind nur noch sieben Exemplare der Thesendrucke aus Nürnberg und Leipzig bekannt, Das Faksimile ist das Exemplar aus der Staatsbibliothek zu Berlin

 

 

Der Thesenanschlag nur Legende?

 

In der Universität Jena gelang im Rahmen der Reformationsvorbereitung ein besonderer Fund. In einer Ausgabe des Neuen Testaments von 1540 entdeckte man eine Notiz von Georg Rörer (1492-1557), dem Sekretär von Luther:

 

„Am Vorabend des Allerheiligenfestes im Jahre des Herren 1517 sind von Doktor Martin Luther Thesen über den Ablass an die Türen der Wittenberger Kirchen angeschlagen worden.“

 

Die Entdeckung dieser Notiz war eine wissenschaftliche Sensation, denn Georg Rörer war nicht nur ein langjähriger, sondern zugleich der engste Mitarbeiter Luthers. Er war Doktor der Theologie und wohnte seit 1527 in Wittenberg in Luthers Haus. Rörer war vor allem für die Bibelrevisionen des Reformators verantwortlich. Von einem immer wieder behaupteten „angeblichen“ Thesenanschlag kann also keine Rede mehr sein!

 

 

Kirchentür als „schwarzes Brett“

 

Die Schlosskirche von Wittenberg diente damals nicht nur als Universitätskirche, sondern auch als Hörsaal der noch jungen Universität, und ihre Holztür war sozusagen das „schwarze Brett“ der Universität. An diese Tür aber auch an die Türen der anderen Kirchen ließ Luther seine 95 Thesen von den Küstern anschlagen. Er ahnte nicht, dass er damit den Lauf der Weltgeschichte verändern sollte. Das Datum war mit Absicht so gewählt. Der 1. November ist bis heute Allerheiligen, ein Fest an dem sowohl aller christlichen Heiligen als auch der Märtyrer in der römisch-katholischen Kirche gedacht wird. Da der 1.11. auch gleichzeitig der Patronatstag der Wittenberger Schlosskirche war, erlebte Wittenberg bereits am Vorabend von Allerheiligen einen unglaublichen Pilgerstrom zur Reliquien-Stiftung. Mehr Besucher hätten zu keinem anderen Zeitpunkt die Thesen lesen können. Deshalb also der Thesenanschlag am 31. Oktober. Mit den Thesen, die nach damaliger Sitte auf Latein verfasst waren, forderte Luther zu einem wissenschaftlichen Streitgespräch über den Ablasshandel in einer Disputation heraus.

 

  Sein Thesenblatt hatte die Überschrift: „Aus Liebe zur Wahrheit und in dem Bestreben, diese zu ergründen, soll in Wittenberg unter dem Vorsitz des ehrwürdigen Vaters Martin Luther, Magisters der freien Künste und der heiligen Theologie sowie deren ordentlicher Professor daselbst, über die folgenden Sätze disputiert werden. Deshalb bittet er die, die nicht anwesend sein und mündlich mit uns debattieren können, dieses in Abwesenheit schriftlich zu tun. Im Namen unseres Herrn Jesu Christi, Amen.“ Was hatte Luther aber veranlasst, einen solchen öffentlichen Aufruf an die Kirchentüren schlagen zu lassen?

 

  Seit 1512 war Martin Luther Professor für Bibelauslegung an der Wittenberger Universität und übernahm 1514 auch noch die Stelle des Stadtpredigers. Dabei wurde er mit dem Ablasshandel (Loskauf von Fegefeuerstrafen für begangene Sünden durch Geld) konfrontiert. Mit Hinweis auf die gekauften Ablassbriefe forderten die Gemeindeglieder die Vergebung der Sünden in der Beichte ein. Viele kamen erst gar nicht mehr zur Beichte, denn wozu brauchte man noch einen Seelsorger, wenn man sich von Sünden loskaufen konnte?

 

 

„Sobald das Geld im Kasten klingt …“

 

Seit 1515 wurde im Erzbistum Magdeburg ein besonderer Ablass zur Fertigstellung der Peterskirche in Rom angeboten. In Wirklichkeit diente der Ablass zur Tilgung der hohen Schulden, die Herzog Albrecht von Brandenburg als Erzbischof von Magdeburg gemacht hatte, um sich auch das Erzbistum von Mainz erkaufen zu können. Das Kirchenrecht verbot eigentlich die Anhäufung erzbischöflicher Stühle. Aber gegen eine Geldzahlung von 29.000 Dukaten war der Papst bereit, eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Die enorme Summe musste sich der Erzbischof beim dem mächtigen Bankhaus Fugger in Augsburg leihen. Um das Geld zurückzahlen zu können, beauftragte der Erzbischof den Dominikanermönch Johann Tetzel mit dem Vertrieb des Ablasses. Ein Ablass musste als Kompensation gezahlt werden, wenn man nicht eine Romreise antreten konnte, um in den 7 Kathedralkirchen jeweils 5 Pater Noster (Vater unser) und 5 Ave Maria zu beten. Je nach Stand variierte der Geldbetrag für den Ablass. Aus dieser Zeit stammt der „Marketing-Satz“: „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer in den Himmel springt.“ Bei der Lehre des Fegefeuers wurde behauptet, dass die Toten eine Läuterung erfahren würden, wenn sie nicht als heilig unmittelbar in den Himmel kommen würden. Doch gegen diese Lehre vom Fegefeuer und des Loskaufs durch Geld kämpfte Luther entschieden, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt Fegefeuer und Ablass noch nicht grundsätzlich als unbiblisch ablehnte, wie er es späteren Jahren tat.

  

    Wie war Luther zu seiner kritischen Einstellung gegenüber dem Ablass gekommen? Von 1513 bis 1518 hatte Luther Vorlesungen über die Psalmen, den Galater- und Römerbrief gehalten. Für die Studenten ließ er dabei den jeweiligen Bibeltext mit breiten leeren Abständen drucken. So konnten die Studenten die Vorlesung zwischen den Zeilen mitschreiben. Diese „Handouts“ sind ein reformatorischer Schatz, denn einige solcher Mitschriften aus Luthers Vorlesungen sind erhalten geblieben. In der Bibelsammlung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart durfte ich ein solches Exemplar im Original einsehen und fotografieren. Es war mehr als bewegend zu wissen, dass die Arbeit an diesem Sonderdruck bei Luther eine völlige Veränderung in seinem Denken bewirkt hatte. Es waren die Verse 16 und 17 aus dem 1. Kapitel des Römerbriefes, die zu seiner reformatorischen Einsicht „sola fide“ (allein der Glaube) führten. Es heißt dort: „Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht (Habakuk 2,4): ‚Der Gerechte wird aus Glauben leben‘.“

 

 

Die reformatorische Erkenntnis

 

Luther erkannte, dass man sich die Erlösung weder durch gute Werke verdienen noch mit Geld erkaufen kann. Der Glaube ist ein Geschenk Gottes, den er uns in Jesus Christus und zwar nur ihn ihm gibt („solus Christus“ – alleine Christus). Luther beschrieb diese reformatorische Erkenntnis später so: „Wiewohl ich als ein untadeliger Mönch lebte, verspürte ich doch unruhigen Gewissens, dass ich vor Gott ein Sünder sei und dass ich mich nicht darauf verlassen könnte, durch meine eigene Genugtuung versöhnt zu sein … Bis Gott sich erbarmte und ich … den Zusammenhang der Worte begriff, nämlich: der Gerechte wird aus Glauben leben.

 

  Dieser Durchbruch zum lebendigen Glauben fand in der privaten Turmstube des Wittenberger Klosters statt und wird als das „Turmerlebnis“ bezeichnet. Luther stellte die Bibel in den Mittelpunkt der christlichen Lehren und über das Urteil des Papstes. Allein die Bibel („sola scriptura“ – allein die Schrift) sollte die Richtschnur für Glaubensfragen sein. Heftig wetterte er deshalb gegen den Ablasshandel.

 

  Die 1. These Luthers lautete: Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht „Tut Buße“ (Matthäus 4,17), hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.“ In der 11. These griff er das Ablasswesen direkt an: „Die Meinung, dass eine kirchliche Bußstrafe in eine Fegefeuerstrafe umgewandelt werden könne, ist ein Unkraut, das offenbar gesät worden ist, während die Bischöfe schliefen.“ Noch deutlicher wird er in der 36. These: „Jeder Christ, der wirklich bereut, hat Anspruch auf völligen Erlass von Strafe und Schuld, auch ohne Ablassbrief.“

 

  Völlig richtig hatte Luther erkannt (These 27 und 28): „Menschenlehre verkündigen die, die sagen, dass die Seele (aus dem Fegefeuer) emporfliege, sobald das Geld im Kasten klingt. Gewiss, sobald das Geld im Kasten klingt, können Gewinn und Habgier wachsen …

 

  Die Thesen 35-40 kann man dabei als eine erste reformatorische Erkenntnis so zusammenfassen: Ohne Reue kann niemand Vergebung erhalten! Wer wirklich bereut, der bekommt völlige Vergebung und das ohne bezahlten Ablassbrief.

 

 

Der Streit um den Ablass eskaliert

 

Auf seinen Thesenanschlag gab es trotz der großen Besucherströme in Wittenberg kein Echo. So veröffentlichte Luther 1518 seine Thesen in einer populären Schrift „Ein Sermon von Ablass und Gnade“. Diese Schrift verbreitete sich nun rasend schnell in Europa (22 Nachdrucke in mehreren Sprachen in 2 Jahren). Man kann dieses Werk als den ersten Bestseller seit Erfindung des Buchdrucks bezeichnen! Diese Schrift erregte überall Aufsehen und so verwundert es nicht, dass kurze Zeit später Luther in Rom der Ketzerprozess gemacht wurde. Sein Kurfürst Friedrich der Weise verweigerte jedoch die Auslieferung Luthers. Im Oktober 1518 wurde Luther daher auf dem Augsburger Reichstag von Kardinal Cajetan „väterlich“ verhört. Weitere Disputationen bzw. Verhöre folgten in Heidelberg und Leipzig. In Leipzig war Luthers Gegner der Ingolstädter Professor Johannes Eck (1519) zugegen, der Jahre später (1537) die bei den süddeutschen Katholiken beliebte Eck-Bibel als Antwort auf die Luther-Bibel herausbringen sollte. Gegenüber Eck erklärte Luther, dass der 1415 in Konstanz verbrannte böhmische Vorreformator Johannes Hus in vielen Artikeln Recht habe. Der Bruch mit der katholischen Kirche war offensichtlich. Die Situation mit Rom eskalierte, als Luther 1520 seine drei bekanntesten Schriften „An den christlichen Adel deutscher Nation und von des christlichen Standes Besserung“, „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ und „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ herausbrachte. Diese Schriften waren eine Reaktion auf die Bannandrohungsbulle Exsurge Domine (lat.: „Erhebe dich, Herr“), die am 15. Juni 1520 vom Papst angeordnet wurde. Die Bulle listet 41 Sätze aus Luthers Schriften auf, die er innerhalb zweier Monate hätte widerrufen sollen. Dies verweigerte Luther jedoch und verbrannte – nachdem auch seine Schriften an einigen Orten verbrannt worden waren – mit seinen Studenten öffentlich die Bulle und das kanonische Recht am 10. Dezember 1520 vor den Toren Wittenbergs. Daraufhin verhängte Papst Leo X. im Januar 1521 den Kirchenbann über Martin Luther.

 

Buchempfehlung: Joachim Ott / Martin Treu (Hg.), Luthers Thesenanschlag – Faktum oder Fiktion, Leipzig 2008.