1859 entdeckt Tischendorf den größten Teil des Codex SinaiticusBrief Tischendorfs an seine Frau Angelika v. 15.2.1859... Die Entdeckung des Codex Sinaiticus in Tischendorfs eigener Beschreibung:
Brief Tischendorfs an seine Frau Angelika nach der Entdeckung des CODEX SINAITICUS Kairo, Montagabend 15.2.1859
Gleich nach seiner Rückkehr aus dem Sinai schrieb Tischendorfs von Kairo aus als erstes an seine Frau Angelika über dem Fund der Sinaibibel von einer Woche vorher. Es ist der erste Bericht über diesen Sensationsfund und ganz privater Natur:
„Mein geliebtes Weib, Ein Siegesbulletin hab' ich zu geben gehofft: nun wahrhaftig, der Herr hat' s gefügt, dass es eines sei. Einen so grossen Segen hat er auf meine Forschungen beim ersten Schritte schon gelegt, dass ich nur Tränen der Rührung als Antwort darauf hatte. Womit hab' ich das verdient, fragt' ich mich. Aber ich sagte mir auch, dass der Herr nicht nach Verdienst fragt, wo er seine reiche Gnadenhand öffnet ... Nun denke Dir aber, was zuletzt geschah. Die Handschrift, von der wohl ohne Zweifel der Codex Friderico-Augustanus [so hatte er den ersten Teilfund dieser Handschrift von 1844 bezeichnet] einen Teil ausmacht, und von der ich auf der ersten Reise noch ein Fragment mit Jesaias und andern alttestamentlichen Stücken gesehen, diese Handschrift hat der Ikonomos [der für die Verwaltung zuständige Klosterbruder] in seiner Stube und zeigt sie mir, nachdem wir zusammen das Goldmanuskript - das nebenbei gesagt im Kredit sehr bei mir gefallen - und andere beim alten Schatzmeister angesehen hatten ..“.
(Text roter Kasten) „Aber die Handschrift ist nicht mehr das Fragment von siebzig bis achtzig Blättern, sondern von 346 Blättern. Ich war außer mir vor Freude, als ich damit in meine eigene Zelle eilte. Da sah ich denn zunächst, daß das ganze Neue Testament darin steht: es ist die einzige ähnliche Hand-schrift in der Welt! Weder der Codex Vaticanus noch der Londoner Alexandrinus hat das ganze Neue Testament, und der Sinaitische Codex ist unbedingt älter als beide. Dieser Fund ist ein Ereignis und ein großes für die christliche Wissenschaft. Kein Mensch im Kloster wußte natürlich, was eigentlich in der Handschrift stand ... Was mir nicht Ruhe gelassen hat zu Hause, so sehr es auch an das menschliche Trachten und Verlangen sich anlehnte, das war der Ruf des Herrn. Hatte ich mir's schon immer gesagt: ich gehe im Namen des Herrn und suche nach Schätzen, die seiner Kirche Frucht tragen sollen: jetzt wußt' ich's und erschrak wahrhaftig vor der Wahrheit selber. Die ganze Handschrift, so wie sie nun ist, ist ein unvergleichliches Kleinod für die Wissenschaft und die Kirche …“
Aus diesem berühmten Brief stammt der oft zitierte Satz Tischendorfs: „Ich gehe im Namen des Herrn und suche nach Schätzen, die seiner Kirche Frucht tragen sollen“
Begeistert antwortete ihm seine Frau am 2. März aus Leipzig
Mein herzlichgeliebter theurer Mann ! Am 25ten Febr. Abends erhielt ich Deinen inhaltsreichen Brief. Welche ein Jubel klang wieder in meinem Herzen! Ei Du auserwählter! Du gesegneter Knecht Gottes, welch reichen Lohn empfängst Du schon bei den ersten Schritten in Deiner Arbeit! Mein liebes Herz, ist es denn nur möglich, daß Dir solches Finden geworden ist; das ist ja köstlich, über alles köstlich und herrlich! Und welchen Eindruck macht´s hier! Dies bei den guten Freunden! Als ich den Brief zuerst las, allein in meiner Stube, und an die Hauptstellen kam, da mußte ich so laut geworden sein, und hatte vor Freude so herzhaft auf den Tisch geschlagen, daß eiligst Emma und die Kinder alle 4 herüber gelaufen kamen um zu sehen was passiert wäre und was der gute Papa Herrliches geschrieben hätte. Darauf ging ich noch den Abend nach 8 Uhr zu Grauls [Tischendorf engem Freund], nahm Mamachen mit hinauf und teilten die Kunde mit. Nun aber Graul! Nein der! Der hat die Nacht darauf nicht schlafen können vor Aufregung. Wir thaten uns eine Güte und lasen immer wieder und immer wieder Deinen Brief, sind aber nun auch nicht wenig gespannt auf Deine nächsten Mittheilungen … Ach Du geliebter einziger Mann, könnte ich Dir nur gleich um den Hals fallen und küssen, daß Dir´s so gut geht und der liebe Gott Dir so Schönes beschert! Das ‚ganze Neue Testamment‘, das macht auf mich einen überwältigenden Eindruck, mir hat das in meinen Fantasien immer vorgeschwebt, ich dachte immer, ob das nicht einmal möglich wäre! Und doch hielt ich´s dann für ein schönes Märchen, was sich nicht verwirklichen könnte! Nun siehe da! Und Du bist wieder der Columbus gewesen, der das Land entdeckt! Aber nun schone auch Deiner und wenn Du abschreiben musst, so übernimm Dich nur nicht mein Herzchen und gönne Dir auch Zeit und Erholung in der ägyptischen Atmosphäre …“
Das Abschreiben der Sinaibibel sollte sich allerdings als sehr mühsam und zeitaufwendig herausstellen. Es waren 347 Blatt mit über 130.000 Spalten. Ein deutscher Arzt und ein Apotheker halfen Tischendorf dabei, der dann die schwere Arbeit der Revision machen musste. Für die wissenschaftliche Publikation musste Tischendorf aber die Handschrift mit nach Leipzig nehmen, was ihm das Katharinenkloster auch gestattete. |