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Wie es zu der Übersetzung des Neuen Testaments durch William Tyndale kam

Bild mit der Beschreibung des Drucks von Tnydales Neuem Testament entnommen aus:

Johannes Cochlaeus, Historia Lutheri - das ist, kurtze Beschreibung seiner Handlungen und Geschrifften ... erstlich in Latein durch Johannem Cochlaeum ... und jetzo auß dem Latein ins Teutsch gebracht durch Johann Christof Hueber. Ingolstadt 1582.

 

 

William Tyndale und sein Neues Testament

 

 Auszug aus dem ausgezeichneten Aufsatz von dem ehemaligen Direktor der Bibelsammlung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart

Dr. Eberhard Zwink "Verwirrspiel um eine Bibel"

(englische Version --> HIER <--)

 

Am 11. Februar 1526 hielt der Bischof von Rochester, John Fisher, in St. Paul's Cathedral in London eine flammende und wirkungsvolle Predigt. Schon zum zweiten Mal entfachte er eine Kampagne gegen den deutschen Reformator Martin Luther und seine Anhänger. Bücher waren vom Festland her nach England geschleust worden und hatten auf der Insel Verbreitung gefunden, ihre häretischen Texte wurden heimlich ins Englische übersetzt. Ein eiligst aufgeschichteter Scheiterhaufen war die Antwort der Kirche gegen die ketzerischen Umtriebe.

Dann tauchte plötzlich ein weiteres Buch auf, ein Neues Testament in englischer Sprache, das aus gutem Grunde seine Herkunft verheimlichte. Es fand sich am Ende des Textes kein Kolophon mit den sonst üblichen Angaben, und weder auf dem Titelblatt, noch sonst wo, auch nicht im Nachwort To the Reder, war der Druck "firmiert": Übersetzer, Druckort, Drucker und Jahr fehlten, ein Zeichen dafür, dass wieder einmal ein Reformationsdruck unter die Leute gebracht werden sollte. Eine Quelle des Jahres 1526 sagt es deutlich; das Regest [zusammenfassende Inhaltsangabe einer Urkunde] lautet:

 

Mandate of the archbishop of Canterbury ... to search for English translations of the New Testament, as containing heretical pravity. Lambeth, 3 Nov. 1526. "A list of books prohibited: ... The new Testament of Tindall ...“

 

Für die Mächtigen in England, für den genannten eifernden Bischof John Fisher und auch den berühmten Staatsmann und Schriftsteller Thomas More, für Kardinal Thomas Wolsey und damit auch für König Heinrich VIII. war unschwer zu erkennen, wer sich als Übersetzer und Verantwortlicher hinter der Bibelausgabe verbarg, nämlich William Tyndale (ca. 1494-1536), der kluge, humanistisch gebildete, sprachgewandte, des Griechischen und Hebräischen mächtige Protestant, der vermutlich im April 1524 England verlassen hatte, um in reformatorisch umgetriebenen deutschen Gebieten seine Studien vertiefen und von dort aus auf sein Heimatland einwirken zu können. Tyndale hatte sich nicht nur gegen die Oxford- bzw. Arundel Constitution von 1408 vergangen [Verbote der Übersetzung der Bibel in die englische Sprache], sondern sich zudem eines Verschuldens gegen die Dogmatik zu verantworten: Wie Luther griff er bei seiner Bibelübersetzung hauptsächlich auf die Edition des Humanisten Erasmus von Rotterdam zurück. Dieser hatte den griechischen Grundtext im Jahr 1516 und in zweiter verbesserter Auflage 1519 zum ersten Mal im Druck erscheinen lassen. Das Griechische sollte aber nur als Beweis für die Richtigkeit seiner lateinischen Neuübersetzung dienen, die, in eigener Kolumne neben dem Grundtext abgedruckt, das klassische Latein Ciceros oder auch des Laktanz wieder beleben sollte. Das Verlassen der Vulgata, der anerkannten heiligen Schrift der Römischen Kirche, war schon Grund genug, eine davon abweichende Übersetzung zu verdammen und mit ihr so zu verfahren, wie es Ketzern gebührte, sie im Feuer zu verbrennen und damit zu läutern.

 

Tyndale hatte zunächst gemeint, es sei vorteilhaft, sich als Kenner des griechischen Neuen Testaments auszuweisen, und suchte die Gunst des Humanisten Cuthbert Tunstall, des Bischofs von London. Ja, Erasmus selbst hatte Tunstall in den Annotationes, den Anmerkungen zu seinem Neuen Testament, namentlich als Kenner aufgeführt, hatte er doch noch Erasmus geholfen, griechische Handschriften für dessen Edition des Neuen Testaments zu kollationieren. In ihm sah Tyndale den idealen Patron10 für sein Vorhaben, seine englische Übersetzung legal drucken zu lassen. Tyndale suchte bei Tunstall um eine Kaplanstelle nach. Daraus wurde jedoch nichts. Eine freie Stelle gab es angeblich nicht, und Tunstall scheute vor einer Veröffentlichung zurück. Die alten Bibelverbreitungsverbote wirkten sogar noch in den Köpfen der gelehrten Humanisten, wie Tyndale resigniert berichtet:

 

Und so hielt ich mich in London beinahe ein Jahr auf und erkannte den Lauf der Welt und hörte unsere Prätoren, ich meine unsere Priester, wie sie sich aufplusterten ... und wie sie geschäftig taten ... und sah Dinge, über die ich zur Zeit lieber schweige, und ich verstand schließlich, dass nicht nur kein Raum im Palast meines Herrn in London war, sondern dass es überhaupt in England keinen Ort gab, all das zu machen ...

 

Er entwich per Schiff im Jahr 1524 nach Hamburg, wo er sich später mit William Roye, einem englischen ehemaligen Bettelmönch, zusammentat. Roye war 1525 nachweislich in Wittenberg immatrikuliert. Bei Tyndale ist es umstritten, ob er selbst in Wittenberg war und Luther persönlich kennen gelernt hat. Es gibt englische Forscher, die dies aufgrund ihrer Quelleninterpretation eher für unwahrscheinlich halten und betonen stets die Eigenständigkeit ihres ersten englischen Reformators gegenüber den deutschen Vorbildern. Nur fragt man sich, welchen Grund Tyndale gehabt haben könnte, als er in Hamburg mit dem Schiff landete, nicht den kurzen Weg nach Wittenberg zu Luther zu nehmen, wo sich die Elite der Bibelhumanisten versammelt hatte. Thomas More und Kardinal Wolsey hatten ihre Informationsquellen über das Treiben des abtrünnigen englischen Gelehrten. Sie standen in gutem Kontakt mit dem deutschen Altgläubigen und Kämpfer gegen die Reformation Johannes Cochläus (eigentlich J. Dobneck), der eilfertig nach London meldete, was sich in Deutschland Unerhörtes ereignete. Seine lateinischen Berichte wurden 1582 in Ingolstadt deutsch herausgegeben.

 

Cochläus berichtet, Tyndale habe 1525 in Köln versucht, das Manuskript seiner Übersetzung des Neuen Testaments bei Peter Quentel drucken zu lassen. Daß sich Tyndale mit der Wahl der Stadt Köln, die zwar verkehrsgeographisch für seine Zwecke sehr günstig lag, in die Höhle des Löwen begeben hatte, sollte er bald merken. Als man nämlich gerade den zehnten Bogen druckte, entdeckte Cochläus, der eben in derselben Offizin die Werke des Rupert von Deutz herausbringen ließ, dass auf einer eigenen Presse underm truck drey tausent Exemplar des Lutherischen in die Englische Spraach gebrachten newen Testaments  seien, ferner dass zwei Engländer in Köln weilten, die anscheinend mit der Sache zu tun hätten.

 

Schnell griff der Rat der Stadt Köln ein und untersagte die Fortsetzung. Gediehen war man bis zum Anfang des Markusevangeliums. Es hätte eine schöne und ansprechende Bibelausgabe werden können, im Quartformat mit Randglossen und einer Vorrede, in die einiges wortwörtlich aus Luthers deutschen Bibelvorreden übernommen worden war.

 

Bis heute kennt man von diesem Druckversuch 1525 nur noch ein einziges fragmentarisches Exemplar, dessen Text noch bis Matth. 22,12. reicht. Es ist in der Greenville Collection in der British Library London erhalten.

 

Bei Cochläus heißt es weiter: Hierauff flohen die zwen verloffne Englische Münch mit den getruckten Quatern dem Rein nach auffwärts nach Wormbs, da nun der gemeine Mann mit viler unsinnigkeit das Lutherische Euangelium angenommen, dauon das fürgenommene Werck durch ein andern Trucker daselbs zuuollenden.

 

Peter Schöffer d. J., dessen gleichnamiger Vater zusammen mit Johannes Gutenberg in Mainz das erste Buch mit beweglichen Lettern, eine lateinische Vulgata, hergestellt hatte, sollte in Worms zum Drucker für das erste vollständige englische Neue Testament werden.

 

Es waren, wie zuvor in Köln, dreitausend Exemplare vorgesehen, die dann auch im Verlauf des Jahres 1526 die Pressen verließen und auf geschickte Weise, als Frachtgut getarnt oder in Mantelfalten versteckt, die Insel erreichten. Wie der aufwendige, aber gescheiterte Druck aus Köln zeigt und auch die gelungene Aktion in Worms beweist, hat es an finanzieller Unterstützung nicht gefehlt. Englische Kaufleute sollen die Geldgeber gewesen sein. Der englische König Heinrich VIII. hatte sich inzwischen auf einen Streit mit Rom eingelassen. Er forderte vergeblich die Annullierung seiner ersten Ehe mit Katharina von Aragonien, worauf er sich 1532 zum Oberhaupt der englischen Kirche machte und 1533 Anna Boleyn heimlich heiratete. Seinem Suprematsanspruch wollte der Lordkanzler und Feind William Johannes Tyndales Thomas More nicht folgen und büßte mit seinem Leben. Der Weg zum Einzug protestantischer Ideen in England war geöffnet. Die immer noch im Ausland (Antwerpen) gedruckten protestantischen Bibeln von Tyndale und 1535 auch von Miles Coverdale konnten endlich auf der Insel Verbreitung finden. Trotzdem sind auch hiervon die überdauerten Exemplare sehr rar.