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1606 - Wer war Johannes Piscator?

Spannende Biografie über den (fast) vergessenen Bibelübersetzer der reformierten Kirche

 

Johannes Piscator (1546 - 1625)

Biografie von Dr. Ulrich Bister

 

Der Mann, der sich an das Werk einer neuen Bibelübersetzung heranwagte, ist Johannes Piscator (ursprünglich Fischer). Geboren am 27.3.1546 in Straßburg und dort vorgebildet, widmete er sich schon früh der Theologie in Straßburg und Tübingen. In seiner Vaterstadt wurde er Lehrer der Philosophie und Exegese, aber schon 1574 wegen seiner Neigung zur reformierten Lehre (Studium v.Calvins Institutio Christianae Religionis und Reaktion des Tübingers Jakob Andreae) vertrieben. Eine neue Stellung fand er als Professor der Philosophie in Heidelberg, wo er auch Rektor des Gymnasiums wurde. Diese Stelle verlor er aber schon 1577, ähnlich wie andere Gesinnungsfreunde, mit dem Tod des Kurfürsten Friedrich und der Zuwendung zum lutherischen Bekenntnis seines Sohnes Ludwig. Der bekannte Caspar Olevian empfahl ihn dem Grafen Johann VI. von Nassau, der ihn 1578 nach Siegen als Konrektor, später als Lehrer seiner Söhne berief. Hier wurden die Beziehungen vertieft, die nachher Piscator in eine so segensreiche Wirksamkeit in Nassau führten. Zunächst jedoch folgte Piscator einem Ruf als Professor der Theologie an das Casimirianum in Neustadt/ Hardt (hierher auf Verlangen des jüngeren Sohnes des Kurfürsten, Johann Casimir), wo er mit den dort wirkenden bedeutenden reformierten Theologen in enge Beziehungen trat. Aber auch diese Stellung verließ er schon 1581, um die Leitung des Gymnasiums in Moers zu übernehmen. 1584 machten ihn Krieg und Pest brotlos. Da erreichte ihn der ehrenvolle Ruf an die neu gegründete Hohe Schule in Herborn, deren Organisation er in Gemeinschaft mit Caspar Olevian (Verfasser des Heidelberger Catechismus gemeinsam mit Ursinus, 1562), ebenfalls aus Heidelberg vertrieben, unternahm.

 

Als Professor der Theologie, der über Dogmatik und Bibelwissenschaft las, wirkte er nun, hochangesehen, in der wissenschaftlichen Welt, 41 Jahre lang bis zu seinem Tode am 25. Juli des Jahres 1625; insgesamt 238 Einzelschriften zeugen von einem ungeheueren Fleiß, von größter Sorgfalt, aber auch von einer besonderen Berufung und Begabung, die Heilige Schrift zu bearbeiten und verständlich zu machen.

 

Den Reformierten selbst war zunächst nicht Befangenheit nachzusagen, wenn es darum ging, für den allgemeinen Gebrauch auch Lutherbibeln nachzudrucken, so schon 1568 in Heidelberg, 1579 in Neustadt/Haardt (1588 und 1591) und schließlich im Jahre 1595 die erste Herborner (Luther-)Bibel, erweitert um die Lobwasserschen Psalmen und den Heidelberger Katechismus. Es wird allgemein angenommen, daß hier bereits Johann Piscator als Bearbeiter der Vorreden und Anmerkungen tätig gewesen war. Allein, der Widerspruch der Wittenberger ließ nicht lange auf sich warten (1588), als´Trewherzige Nottwendige Ernste Warnung an alle Evangelische Kirchen Deudtscher Nation, vor der zu Herborn in der Grafschaft Nassau nachgedruckten und mit Caluinischem Gifft beschmeißten Deudtschen Bibel D.Martin Luthers´.

 

Die Beigabe des Catechismus mußte als ´Erzbubenstück´ geächtet werden. Dennoch, es kommt zu weiteren Drucklegungen der Luther-Bibelübersetzung: zwischen 1598 und 1666 mehr als zehn Auflagen unterschiedlichen Formats, sie alle vermehrt um dem für die Herborner so bedeutenden Heidelberger Catechismus und das entsprechende geistliche Liedgut; nochmals im Jahre 1709 dann auf Wunsch des Dillenburger Fürsten und herausgegeben durch den Herborner Professor Johann Sebald Hamel und schließlich im Jahre 1740 durch die Witwe des Druckers J. N. Andreae.

 

Mit dem Plan einer neuen deutschen Bibelübersetzung hat sich Piscator schon sehr früh beschäftigt. Im Juni 1580 lehnte er den ehrenvollen Ruf nach Genf in einem Schreiben an Beza mit der Begründung ab, ihm sei jetzt in Neustadt ein stipendiolum bewilligt worden, um seine geplante neue Übersetzung der Bibel ins Deutsche fortsetzen zu können. Wie weit Picator damals gekommen ist, wissen wir nicht. Merkwürdigerweise erwähnt er später nie etwas von diesen Vorarbeiten für sein Bibelwerk; sehr umfangreich können sie nicht gewesen sein – dazu war sein Geschick zu wechselvoll. Erst in Herborn fand er offensichtlich die nötige Ruhe dazu. Aber auch hier gab es zunächst nötigere Arbeit zu tun. Es galt Lehrbücher für den akademischen Unterricht zu schreiben, sowohl dogmatische wie die ´Aphorismi doctrinae Christianae´ (Herborn 1589), und die seit 1589 in rascher Folge erschienenen Kommentare über die einzelnen biblischen Bücher. Besonders die letzteren erfordern unsere Aufmerksamkeit, da sie zu den Vorarbeiten in Anlehnung an die Züricher Prophezeyen´, den wöchentlich in der Kirche stattfindenden erklärenden Bibelstunden, für die deutsche Bibelübersetzug gerechnet werden müssen.

 

In den zwischen 1589 und 1597 erschienenen Kommentarreihe über das NT stellt Piscator der Erklärung immer den lateinisch übersetzten Grundtext voran. Diese lateinische Übersetzung ist im Grunde die des Beza. Das hohe Ansehen dieses Theologen und seines griechischen wie lateinischen NTs machen die Benutzung durch Piscator ebenso erklärlich wie die nahen Beziehungen der beiden Gelehrten, die in einem ausgebreiteten Briefwechsel zum Ausdruck kamen. Die Übersetzung Bezas ist von Piscator an unzähligen Stellen nachgeprüft und den Feinheiten des griechischen Originals angepaßt worden. Nachdem Piscator von 1596 – 1601 intensiv an seiner deutschen Bibelversion gearbeitet hatte, veröffentlichte er zunächst von 1601 an in einzelnen Bänden Kommentare zum AT. Hier verfuhr er ähnlich wie beim NT.

 

Als Grundlage der lateinischen Übersetzung, die er auch hier dem Kommentar vorausschickte, wählte er die lateinische AT-Bibelausgabe des Tremellius und Junius, von deren Vortrefflichkeit er eine hohe Meinung hatte. Da diese Übersetzung auch bei seiner eigenen Bibelbearbeitung als Vorlage von ihm benutzt worden ist, wird sein Urteil über diese lateinische Bibel von Interesse sein. „Versio Tremellii et Junii, rühmt er (Praefatio des Kommentars zur Genesis, Gesamtausgabe, Herborn 1643), omnium optima videtur...“ Obwohl nun Piscator, wie seine Worte zeigen, die Übersetzung des Tremellius-Junius so hoch schätzte, wahrte er sich doch neben ihr seine eigene wissenschaftliche Überzeugung. Er stellte nämlich seine eigene  lateinische Übersetzung neben jene über die Erklärung jedes Kapitels, allerdings ist sie nur dann geändert, wo es der Urtext zu erfordern schien: ein Bedürfnis nach Variation des Ausdrucks kennt Piscator nicht. So war er wohl vorbereitet, die Bibel „in sein geliebtes Deutsch zu übertragen“.

 

Die entscheidende Veranlassung zur Drucklegung gab ihm sein theologisch und kirchlich sehr interessierter Landesfürst, Graf Johann VI. von Nassau-Dillenburg (der Ältere), ein Bruder des Oraniers Wilhelm. Johann hatte aus seinem kleinen Staat ein musterhaft geordnetes Gemeinwesen geschaffen und die Volksbildung ganz entscheidend gefördert, nicht zuletzt durch die Stiftung der Hohen Schule zu Herborn. In Wittenberg hatte er als Student Melanchthon gehört, und, dadurch zu milderer Auffassung des Luthertums erzogen, war er weiterhin durch die 1577 aus Kursachsen vertriebenen Theologen, denen er in Dillenburg Obdach gewährte, von der Wahrheit der reformierten Lehre überzeugt worden. Im Jahre 1578 trat er nach der Herborner Generalsynode zum reformierten Bekenntnis über.

 

Ursprünglich hatte Johann nicht unbedingt eine neue Übersetzung bevorzugt, daher die schon erwähnten Lutherdrucke Herborner Provenienz, aber für ihn blieb gerade die Empfehlung Caspar Olevians (1595), man möge dem Volk die Bibel verständlich, anmutig und gemein machen, aktuell, wie er es in einem Brief aus dem Jahre 1595 an seinen Hofprediger ausdrückt: Man solle bei den [neu zugeführten] Erklärungen darauf sehen, ob in dem betreffenden Abschnitt Verheißung, Verbot... und Exempel sei, was für Lehren er enthalte und wohin diese im Kateckismus gehörten, welchen Stand und Amt sie berührten, welche Tugenden und Laster, sowie welche Lehren erwähnt und falsche widerlegt würden. Die Bibel sollte ein kleines Format haben, dabei aber doch leserlich sein.

 

Der seit 1594 wegen der Pestseuche nach Siegen ausgewanderte Piscator (und mit ihm auch die Hohe Schule, 1594-1599) arbeitete so eine vom Grafen gewünschte Probe aus, die der Graf zur Begutachtung an auswärtige Freunde sandte, an Tossanus, Pareus, Scultetus und Salmuth, aber auch an seinen Schwiegervater, den Grafen Ludwig zu Wittgenstein. Im Jahre 1596 fragte Johann dann bei Corvinus an, der ebenfalls nach Siegen gezogen war, ob er zu Pfingsten dieses Jahres den Bibeldruck auf zwei Pressen beginnen könne; gleichzeitig forderte er einen Kostenüberschlag. U.a. hatte auch der Baseler Gelehrte Polanus den erwähnten Probebogen erhalten. Polanus riet ab, Luthers Text nachzudrucken, eher einen eigenen zu geben und ggf. Abweichungen vom Luthertext an den Rand zu setzen. Dazu wolle er sein eigenes Handexemplar mit bereits erstellten Korrekturen zu beliebiger Benutzung nach Herborn senden. Allerdings sollte das Gesamtwerk vor der Drucklegung den reformierten Kirchen zur Beurteilung vorgelegt werden: das Bibelwerk solle communi consensu zustande kommen als die eine verbindliche Übersetzung für die unterschiedlich geprägten reformierten Kirchen Deutschlands.

 

So kommt es zu einem intensiven Für und Wider, und im Jahre 1597 übertrug Johann endgültig Piscator die Arbeit an dem Bibelwerk, und zwar auf Grundlage einer neuen Übersetzung aus den Quellen. Gleichzeitig befreite er ihn von seiner Vorlesungsverpflichtung (dennoch Abfassung von insgesamt 24 größeren und kleineren Schriften). Im Jahre 1602 konnte der erste Teil des (reformierten) Bibelwerkes, der Pentateuch, im Buchhandel erscheinen – zusammen mit den ´Lehren´, weitgehend von nassauischen Pfarrern verfaßt (außer Genesis und Jesaja, von Piscator selbst verfaßt).

 

Innerhalb weniger Monate war das Werk schon nach Danzig, Nürnberg, Schlesien und in die Schweiz gelangt und die Reaktionen von dort bezeugten die Erwartungen einer baldigen Fertigstellung des Gesamtwerkes (1604). In den Jahren 1604(!)/1606 und 1617/1623 erscheinen zwei weitere Auflagen, im Jahre 1610 als ´Anhang´ eine Konkordanz, ein biblisch-theologisches Wörterbuch, eine Anleitung zum Bibellesen, eine kurzgefaßte Glaubenslehre, Hilfen zum Verständnis der biblischen Altertümer und einige Bilder und Karten. In der sprachlichen Ausgestaltung zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zur weit verbreiteten Lutherbibel, die in ihrer Ausdrucksweise die Sprache des Volkes wiedergab („man muß den Leuten aufs Maul schauen...in der Freiheit eines Christenmenschen, der ein Herr ist aller Dinge“): hier der sprachkundige und um Textgenauigkeit bemühte Bibelbearbeiter Johann Piscator, dem es nicht unbedingt auf eine gut lesbare und schön gestaltete Sprache ankam, der aber der Textgenauigkeit wegen das ´Undeutsche´ und ´Wörtliche´ herausstellen wollte. Johann Piscator († 1625) erlebte nicht mehr die durch den Dreißigjährigen Krieg für die Herborner Hohe Schule und Druckerei verursachten starken Ein schränkungen; erst im Jahre 1652 kam es wiederum zu einer erneuten Drucklegung der ersten beiden Teile des Alten Testaments, die durch noch vorhandene Teile der Auflage 1617/1623 für den Bedarf ergänzt wurden.

 

Manch einer mag damals das Ende der Drucklegung des Herborner Bibelwerkes erwartet und bewirkt haben, vor allem wegen der unter den Reformierten vorherrschenden Prädestinationslehre (die Lehre der Vorherbestimmung zum ewigen Heil). Für den Bibelübersetzer Piscator war die Aussage in 1. Tim. 2, 4 und Tit. 2, 11 bezeichnend, daß „vielerlei/allerlei“ (statt „alle“) Menschen gerettet werden sollen. Und darüberhinaus bekannt wurde Piscators Bibel noch als Straf-mich-Gott-Bibel (s. Mk. 8:12 als klein gedruckter Zusatz, Vorkommen: 1604 I, NT), als zweite Ausgabe der Herborner Bibelübersetzung, mit Verbesserungen in Summarien und Kommentar. So kommt es schon 1608 durch Johanns Söhne wenigstens im Nassauischen zum Verbot, da sie es für besser hielten, an der mehr bekannten Lutherbibel festzuhalten und deren Drucklegung weiter zu begünstigen.

 

Dennoch, die Nachfrage nach Piscator-Bibeln bleibt ungebrochen und erfährt sogar noch besondere Bedeutung, im Schweizer Kanton Bern (1684-1848), aber auch in den Niederlanden, wo man gar über eine Übersetzung nachdachte. Die Drucklegung im niederrrheinischen Duisburg (1684) und die Aufnahme in die sogenannte Pentapla-Bibel / Wandsbeck (1710) zeigen, daß die Piscator-Bibel keineswegs ihre Ausstrahlung verloren hatte. Letztmalig erschien im Jahre 1755 durch den Drucker Christoph Michael Regelein ein Neues Testament.

 

 

 

 

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